ÖVP, SPÖ und NEOS diskutieren aktuell eine Reform des Staatsbürgerschaftsgesetz (StbG), die Verwaltungsverfahren vereinfachen — aber gleichzeitig die Anforderungen für den Erwerb der Staatsbürgerschaft verschärfen soll: Im Fokus steht die geplante Anhebung der notwendigen Deutschkenntnisse auf das Sprachniveau B2. Für eine echte Integration brauche es statt neuer Hürden einen fairen und sozial ausgewogenen Zugang zur Staatsbürgerschaft.
Demokratiedefizit und rechtliche Barrieren verhindern Zugehörigkeit
In Österreich ist politische Mitbestimmung praktisch ausschließlich an die Staatsbürgerschaft gebunden. In Städten wie Wien sind viele arbeitende Menschen – 2024 etwa 29% der Angestellten und 68% der Arbeiter:innen – ohne österreichischen Pass und damit ohne Wahlrecht.
Das geplante B2-Erfordernis würde diese Demokratielücke vertiefen, Teilhabe und soziale Identifikation schwächen und soziale Ungleichheiten verstärken. Zudem besteht die Gefahr, dass solche bürokratischen Hürden nicht nur politische Entfremdung fördern,
sondern auch negative Folgen für das Wohlbefinden und die psychische Gesundheit der Betroffenen haben könnten.
Ausgangslage – derzeitige Rechtslage
Derzeit reicht für die Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft nach zehnjährigem Aufenthalt ein Nachweis von Deutschkenntnissen auf dem Niveau B1 (z. B. durch Modul 2 der Integrationsvereinbarung beim Österreichischer Integrationsfonds, ÖIF). Personen mit B2-Niveau können bereits nach 6 Jahren Staatsbürger:in werden.
Geplante Änderung: Einführung des Sprachniveaus B2
Die vorgesehene Anhebung auf B2 würde einen deutlichen Systembruch bedeuten: Die bisherige Verknüpfung von Integrationsmaßnahmen und Einbürgerung wäre nicht mehr gegeben. Unklar ist auch, ob die bisherige Möglichkeit einer beschleunigten Einbürgerung bei „besonderer Integrationsleistung“ erhalten bleibt.
Verfassungs- und menschenrechtliche Problematik
Die strengere Sprachvorgabe wirft aus mehreren Gründen erhebliche rechtliche und menschenrechtliche Fragen auf:
- Menschen mit körperlichen oder psychischen Beeinträchtigungen (z. B. Hörbehinderung) hätten im derzeitigen System kaum eine Möglichkeit, die B2-Prüfung zu absolvieren – es gibt keine barrierefreien B2-Prüfungen.
- Die anerkannte Gebärdensprache (ÖGS) wird bisher nicht als gleichwertiger Nachweis anerkannt – eine Pflicht zu B2 ohne Alternative würde Menschen mit Hörbehinderung benachteiligen und wäre mit Gleichheitsgrundsätzen unvereinbar.
- Ohne Ausnahmen oder alternative Nachweise (z. B. Gebärdensprachkompetenz oder dokumentierte Integrationsleistungen) würde die Reform viele langjährig integrierte und berufstätige Menschen faktisch vom Staatsbürgerschaftserwerb ausschließen — trotz bestehender gesellschaftlicher Integration.
Integrationspolitische Bewertung & soziale Auswirkungen
Aus integrationspolitischer Sicht ergibt die Anhebung auf B2 wenig Sinn. Junge Menschen mit Migrationsbiografie sind ein wichtiger Teil der zukünftigen Fachkräfte, besonders in Branchen mit Arbeitskräftemangel. In der Berufsausbildung erreichen Lehrlinge in der Regel B1, was den tatsächlichen sprachlichen Anforderungen vieler Berufe entspricht. Eine verpflichtende Anhebung auf B2 würde daher nicht der österreichischen Arbeitsrealität entsprechen und zahlreiche Menschen ausschließen, die längst integriert sind.
Die Verschärfung hätte zudem einen paradoxen Effekt: Ein formales Sprachniveau würde verlangt, das auch viele Menschen ohne Migrationshintergrund nicht erfüllen. Das Problem ist nicht mangelnde Sprachkompetenz, sondern die fehlende Möglichkeit, im Rahmen von Lehre oder Berufslaufbahn ein B2-Zertifikat zu erreichen. Betroffen wären berufstätige, steuerzahlende Personen – oft seit Jahrzehnten – die im Alltag problemlos Deutsch sprechen, aber keinen schulischen Nachweis auf höherem Niveau besitzen.
Internationale Studien zeigen, dass B1 für funktionale Integration im Alltag ausreichend ist, während B2 vor allem akademisierte schriftsprachliche Fähigkeiten abbildet, die in den meisten Berufen nicht benötigt werden. Berufliche Integration, gesellschaftliches Engagement und eine stabile Erwerbsbiografie sind deutlich stärkere Indikatoren für gelungene Teilhabe als der Unterschied zwischen B1 und B2.
Soziale Auswirkungen des B2-Erfordernisses
Die Anhebung auf B2 trifft vor allem Menschen mit Flucht- oder Migrationshintergrund, die durch Krieg, Traumata oder fehlenden Bildungszugang oft gar nicht die Möglichkeit haben, dieses Sprachniveau zu erreichen. Für viele ist B2 unter realen Lebensbedingungen kaum schaffbar. Die Hürden betreffen auch ihre Kinder: Obwohl sie theoretisch selbst einen Antrag stellen könnten, verhindern dieselben strukturellen Barrieren — Sprache, Einkommen, Aufenthaltsdauer — oft, dass auch die nächste Generation jemals Staatsbürger:innen wird.
Conclusio
Die geplante Reform bringt zwar sinnvolle Vereinfachungen bei Verfahren, aber die Erhöhung auf B2 schafft massive neue Hürden. Ohne Ausnahmen oder barrierefreie Alternativen würden besonders vulnerable Gruppen – Menschen mit Behinderungen, mit Fluchterfahrung oder mit geringem Bildungszugang – faktisch vom Erwerb der Staatsbürgerschaft ausgeschlossen. Selbst langjährig integrierte, arbeitende Menschen wären betroffen. Dadurch drohen Verstöße gegen Gleichheitsgebot, UN-Behindertenrechtskonvention und EMRK.
Kurz zusammengefasst
Links & Beratung

ist im Beratungszentrum tätig und leitet die Erstinformationsveranstaltungen zum Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft.
Am FH Campus Wien ist sie Lehrende für Asyl & Migration.

